Die Hauptstadt Paraguays, Asuncion

In der Hauptstadt Paraguays gab es nur sehr wenige Hotels, und diese waren noch so in die äußersten Winkel geschoben, dass wir uns hätten totsuchen können, ehe wir eines gefunden hätten. Wir schickten uns alle an, einen kleinen Spaziergang zu machen, den man fast einen Rundgang nennen konnte. Unterwegs wurden wir auf eine deutsche Pension aufmerksam, die uns äußerlich ganz gut gefiel.

Es wurde nicht lange überlegt, und wir klatschten laut in die Hände. Ein Herr erschien, und öffnete uns. Der ehrenwerte Wirt war es in eigener Person. Der Wunsch, zwei Zimmer für ein paar Nächte zu mieten, wurde uns auch erfüllt, und wir konnten uns zu unserem Glück gratulieren.

Der Pensionsinhaber, er hieß Barrasch, ließ sofort unser Handgepäck vom Hafen holen, und zeigte uns selbst die Etablissements. Die Räume waren sehr einfach, aber nichtsdestoweniger praktisch eingerichtet. Wandschmuck, Bilder oder dergleichen, wie man das aus europäischen Hotels gewöhnt ist, waren nirgends zu erblicken. Es waren nur einfache Betten da, über denen an galgenartigen Gerüsten leichte Moskitonetze gespannt waren, ferner je ein Schrank, ein Tisch und zwei Stühle.

Schon das erste Abendessen ließ erkennen, dass in der Pension „Aleman“ erstklassiges Essen Mode war. Es gab rohe Kartoffelknödel (aus geriebenem Mandioka hergestellt) mit Specktunke und gebackener Rinderzunge. Als Nachtisch: Vanilleeis. Nachdem wir es unter unseren Moskitonetzen bequem gemacht hatten, waren wir bald eingeschlafen. Die Nacht war wunderbar kühl, und wir wurden erst wach, als die Sonne schon am Himmel stand, und ihre warmen Strahlen auf uns herab schickte. Es war ein heißer Julitag! Das konnte als Seltenheit angerechnet werden, denn wenn in Europa Hochsommer ist, dann hat hier die Regenzeit, also der Winter, seinen Höhepunkt erreicht.

Nach dem fürstlichen Frühstück machten wir wieder einen Spaziergang durch die Stadt. Die Straßen waren schon von Menschen übersät, und alles strömte dem nicht sehr entfernten Marktplatz entgegen, der der Mittelpunkt der Stadt war und auch als Mittelpunkt des Lebens in den Morgenstunden angesehen werden konnte.

Wir ließen uns von dem allgemeinen Menschenstrom mitreißen, und landeten auch als bald auf dem vielgerühmten „Merkado“. Hier bot sich uns nun ein wirkliches Bild südländischen Kleinhandels. Schon von Weitem stieg uns der Duft frischen Obstes, rohen Fleisches und gebackenen Mandiokas entgegen. Auch der unbändige Lärm, der von dem ungezügelten Temperament des Paraguayers Zeugnis gab, zeigte uns unverkennbar die Richtung an, die wir einzuschlagen hatten.

Der eigentliche Markt war von einer zwei Meter hohen Mauer umgeben. Sechs große Tore führten mitten in den tollen Rummel hinein. Die schmalen Gassen, die den Marktplatz abgrenzten, waren ebenfalls, wie das Innere des Platzes, von schreienden und feilschenden Händlern angefüllt. Große Haufen frischer Apfelsinen und duftender Bananen waren dort auf die Straße geschüttet, und jeder Käufer konnte sich die schönsten Früchte aussuchen. In der inneren Umfriedung des Platzes hatten wir Gelegenheit, Menschen aller Herren Länder zu sehen. Die Verkaufsstände waren sehr einfacher Natur, Aussteller oder Verkäufer zum größten Teil weiblichen Geschlechts und fast ausnahmslos sehr dick! Für diese Frauen war es immer mit einer gewissen Mühe verbunden, den Kauflustigen die gewünschte Ware auszusuchen und entgegen zu halten. Bei Europäern zeigten sich die Frauen besonders beflissen, fluchten aber auch sehr unmissverständlich, wenn die ehrenwerten Herrschaften weitergingen ohne etwas gekauft zu haben. Dann konnte man sehr oft deutlich die Worte „Gringo“ und „Estrangero“ vernehmen.

Natürlich versammelte sich hier auch alles mögliche Gesindel, welches sich vom Betteln an diesem Platze allerhand versprach. Ebenso konnte man auch oft halbnackte und zerlumpte Indianerfrauen, die ihre Kinder in umgeschlagenen Tüchern mit sich herumschleppten, beobachten, dass sie sich, durch ungesehenes Mitnehmen irgendwelcher Kleinigkeiten, bereichern wollten. Auch halbwüchsige Knaben und Mädchen streiften zu diesem Zweck auf dem Markt herum.

Das Interessanteste an diesem Marktleben ist aber der Handel selbst. Als Unbeteiligter könnte man sich da manchmal direkt krank lachen. Von den Käufern und Verkaufenden werden solche Angelegenheiten allerdings mit dem vollsten Ernst betrieben.

Da kommt also so eine bessergestellte Dame, oder Donna, daher und will verschiedenes für ihren Hausstand einkaufen. Hinter ihr trottelt meistens ein kleiner Junge mit einem großen Korbe nach, der die Aufgabe hat, die erstandenen Waren getreulich nach Hause zu bringen. Die Donna tritt also an den ersten Stand heran, an dem sie etwas kaufen will, und erkundigt sich nach den Preisen der betreffenden Gegenstände. Die Händlerin, die an der vornehmen Kleidung ihrer Kundin eine wichtige Persönlichkeit sehen will, beginnt aber erst eine ganz nebensächliche Unterhaltung, die sie mit den blumenreichsten Worten untermalt. Dann zeigt sie noch allerhand, ganz Besonderes, und der Preis ist dann meistens das Letzte, womit sie herausrücken will.

So kommt es nicht selten vor, dass der Kauf einer irdenen Blumenvase länger als eine halbe Stunde dauert. Hat es nun eine solche Donna recht eilig, so kann die beleibte Marktfrau aber auch eine Geschwindigkeit entwickeln, die einem D-Zug alle Ehre machen würde. Wenn das Gewünschte herausgefunden ist, beginnt erst das eigentliche Handeln. In diesem Punkt sind nun besagte Marktfrauen ausnahmslos sehr auf der Höhe, und es kommt äußerst selten vor, dass sie sich von einem Käufer übers Ohr hauen lassen. –

Als die Sonne um die Mittagszeit im Zenit stand wurde der Marktplatz auffallend schnell leer. Jeder räumte seinen Verkaufsstand ab, und alle verflüchteten sich, um die wohlverdiente Siesta zu halten.

Auch wir nahmen vom „Merkado“ Abschied, weil es durchaus nicht vorteilhaft war, in der versengenden Mittagsglut herumzulaufen, und suchten ein kleines Restaurant auf, in dem wir etwas zu Essen bekamen. Die Marktfrauen beluden ihre nichtverkauften Waren auf die mitgebrachten Esel, und zogen in langen Kolonnen an uns vorüber, ihrem oft nahen, manchmal auch weiter entfernten, Heimatort zu.

Unsere Ausflüge erstreckten sich im Laufe der nächsten Tage über die ganze Stadt und später auch auf deren Umgebung aus, sodass wir uns in Asuncion recht bald heimisch fühlten. Mein Vater begab sich des öfteren mit der Bahn in weiter gelegene Ortschaften, um nach einem Stück Land zu suchen, das sich für eine Farm kleineren Formats eignete. So kam er auch einmal nach Luque, ein kleines Dorf, welches an der Bahnlinie Asuncion – Villa Rica lag. Nebenbei sei bemerkt, dass die genannte Bahnlinie die einzige dieser Art in Paraguay darstellte. Wollte man sonst irgendwelche Reisen unternehmen, dann musste man sich mit einem Pferderücken begnügen.

In Luque machte Vater die Bekanntschaft eines deutschen Photografs, der ihm in zuvorkommendster Weise behilflich war, das Gesuchte aufzutreiben. Das war aber nicht so ganz leicht, denn die Besitzer wollten ihre bewirtschafteten Güter nicht hergeben. Auch nicht für gutes Geld. Schließlich entschloss sich Vater dazu, vorerst ein kleines Haus in Luque selbst zu mieten um dann von dort aus neue Spekulationen zu unternehmen.

Wir waren also schon wieder einen Schritt weiter, als wir eines Tages damit beschäftigt waren, unsere Koffer zu packen. Ein Fuhrmann beförderte den ganzen Kram zum Bahnhof, und bald darauf setzte sich der Express mit viel Gepfeife und Getute nach Luque in Bewegung. Der Zug brauchte ungefähr eine Stunde, bis er sein Ziel erreicht hatte. Unterwegs hielt er natürlich sehr oft, und auch seine Geschwindigkeit ließ sehr zu wünschen übrig. Wenn man vorn ausstieg und einen Strauß Blumen pflückte, konnte man bequem hinten wieder einsteigen. Unser Haus in Luque war zwar nicht gerade ein Luxusbau, aber wir hatten wenigstens ein festes Dach über dem Kopf. Es war auch gerade der richtige Zeitpunkt, den wir für unseren Umzug gewählt hatten, denn wenige Tage danach begann das Regenwetter. Die Himmelsschleusen öffneten sich, und ich war überzeugt, dass dem Petrus ein großes Leid zugefügt worden war, denn er weinte eine ganze Woche ununterbrochen. Nicht einmal in der Nacht verzogen sich die Wolken. Es war also die richtige Regenzeit gekommen.


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