„Fluchtabsicht“ mit meinem Bruder Günther

In dieser trostlosen Zeit begann nun mein Heimweh immer stärkere Formen anzunehmen, und es wühlte stark an meinem Inneren. So schmiedete ich denn allerlei Fluchtpläne. Ich vergegenwärtigte mir die Lage meiner Mutter, die doch von mir überhaupt nichts wusste, und sich sicher die größten Sorgen um Günther und mich machen musste. Es war auch sehr hart von meinem Vater, dass er mir nicht einmal gestattete, ihr einen ausführlichen Brief zu schreiben, damit sie wenigstens im Bilde war, wo wir uns überhaupt befanden. Er verbot uns sogar, auch nur ein Wort von ihr zu erwähnen, was ich ihm auf keinen Fall verzeihen konnte.

War es nicht schon schwer genug, dass wir nicht einmal Abschied von ihr nehmen durften? Ich war mir klar darüber, dass ich die erste beste Gelegenheit dazu ausnützen würde, heimlich an sie zu schreiben, wenn er es schon nicht so gestatten wollte.

Wenn meine Gedanken nun so in der fernen Heimat weilten, und das kam nicht selten vor, dann hatte ich immer den großen Wunsch, recht bald nach dort zurückkehren zu können. Und immer stieg die Frage auf, wie ich das am Besten anfangen könnte. Aber da war guter Rat teuer. Durfte ich meinen Bruder in dieses Geheimnis einweihen? Oder sollte ich es lieber für mich allein behalten? Quälte ihn auch die Sehnsucht so wie mich, oder war es ihm gleich in welchem Land der Erde er sich befand?

Diese Fragen konnte ich mir nicht so richtig beantworten, aber ich hatte das Gefühl, dass auch Günther den Wunsch hatte, bald nach Deutschland zurück zu können. Ich dachte, dass es wohl das Beste sei, wenn ich ihn einmal diesbezüglich fragen würde. Und es kam auch einmal die günstige Gelegenheit, diesen Punkt ausreichend mit ihm zu erörtern. Er erklärte sich einverstanden, mit mir die Flucht zu wagen, wenn sich ein günstiger Augenblick einstellen sollte. Wir verabredeten also, an einem bestimmten Tage kurz hintereinander das väterliche Haus zu verlassen, um dann gemeinsam nach Asuncion zu pilgern. Ich war der Annahme, mich vollständig auf ihn verlassen zu können, und so gab ich ihm eines Tages, als er fortgeschickt wurde, etwas einzukaufen, ein geheimes Zeichen, welches ihm klar machen sollte, dass ich den Augenblick für gekommen hielt.

Nach einer halben Stunde dauerte es meinem Vater zu lange, ehe Günther wiederkam, und er schickte mich hinter ihm her. Gleichgültig gab er aber auch mir Geld, um das Gewünschte mitzubringen, falls ich Günther nicht finden sollte. Natürlich hatte ich nichts Eiligeres zu tun, als ebenfalls zu „türmen“ . Ich war dabei der festen Ansicht, dass mein Bruder sich schon auf den Weg gemacht hatte. Zuerst wandte ich mich deshalb zum Bahnhof, in der Annahme, Günther würde dort auf mich warten. Leider war das nicht der Fall. Ich setzte unverzüglich meinen Weg fort, in der Hoffnung, ihn wenigstens an der nächsten Station zu treffen.

Doch auch diesmal hatte ich mich getäuscht. Günther war nirgends zu sehen. Ich wollte es fast nicht glauben, dass er schon so schnell voraus gegangen sein sollte. Trotzdem fiel ich unwillkürlich in Laufschritt, um ihn einzuholen. Aber auch diese letzte Hoffnung wurde mir nicht erfüllt. Günther war und blieb verschwunden. Jedes Rufen und Suchen war zwecklos. Manchmal dachte ich, er wäre überhaupt nicht von Luque fortgegangen, sondern habe sich nur irgendwo aufgehalten, was ja auch nicht ausgeschlossen war, aber nachdem ich ihm deutlich Zeichen gegeben hatte, konnte es doch fast nicht möglich sein.

Ich hatte nun mit aller Deutlichkeit gespürt, dass ich wohl oder übel meinen Weg allein fortsetzen musste, und fügte mich hinein. Resigniert setzte ich meinen Weg fort.


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