Weiterfahrt mit dem Flussdampfer „Argentina“

Am anderen Morgen nach dem Frühstück ließen wir uns von einer Taxe zum kleinen Hafen fahren. Unser Gepäck war schon am Tage vorher dorthin gebracht worden, und so hatten wir damit weiter nichts zu tun. Bevor wir nun den Flussdampfer betraten, um drei Tage und Nächte auf ihm Quartier zu nehmen, besahen wir uns erst die Anlagen des „Kleinen Hafens“ gründlich.

Auch hier standen, wie am Ozean-Kai, eine Menge Kräne, die mit unerschütterlicher Ruhe die am Pier ruhenden Lastkräne aus- oder einluden. Der eine beförderte große Ballen Baumwolle in die Höhe, um dieselben dann in bereitstehendes Lastauto herabzulassen. Andere hoben wieder Tabakballen oder ganze Bündel Säcke in die Luft, die dann in den Bäuchen herangefahrener Güterwagen verschwanden. Auch in dieser Hafengegend konnte man Menschen aller Rassen und Farben sehen. Die Hafenarbeiter waren zumeist Schwarze.

Große starke Neger, denen die tropische Hitze nichts anhaben konnte. Sie arbeiteten den ganzen Tag, und man konnte oft beobachten, wie ihnen der nackte Oberkörper vom Schweiß wie Speck glänzte.

Am frühen Nachmittag ertönten die Sirenen des kleinen Räderdampfers „Argentina“, und das Schiff löste sich vom Kai los, um seine kurze Fahrt ins innere Südamerikas zu beginnen. Die Sonne stand hoch am Himmel und das Wasser glänzte und schillerte in tausend Farben. Bald war die „Argentina“ in voller Fahrt, doch sie fuhr bedeutend langsamer als die „Espana“. Auch hatte sie längst nicht die Größe wie der Ozeanriese, und es dauerte nicht lange, und alle Räumlichkeiten waren mir bekannt.

Es gab drei Klassen an Bord. Wir fuhren natürlich dritte Klasse, was allerdings auch verschiedene Nachteile hatte. Die Schlafräume waren für Männlein und Weiblein getrennt. Unsere, also die männliche Kabine war ein großer Raum, in dem dreißig Betten aufgestellt waren. Jeweils zwei übereinander. Natürlich waren gleich zuerst alle Fensterplätze belegt, und man musste sich beeilen, wollte man diesen solchen haben. Ich hatte darin Glück. Es war bedeutend schöner da zu liegen, als unten, wo man bei ungünstiger Wetterlage immer damit rechnen musste, dass einem ein Bett „mit Inhalt“ auf den Kopf fiel. Dann hatte man natürlich auch noch andere Vorteile. So zum Beispiel die herrliche Aussicht auf den Strom und die frische Luft, die man je nach Belieben einlassen konnte.

Über diesem „Schlafzimmer“ befand sich das Ladedeck. Dort waren Kisten und Säcke, Pakete und Ballen aufgestapelt, deren Bestimmungsort irgendein kleiner Hafen am Rio Parana war.

Bemerkenswert wäre noch der Speisesaal, „el Comedor“. Dieser Raum befand sich weiter vorn und es führten zwei Schächte senkrecht hindurch, in denen die Ankerketten hingen. Wurde nun während des Essens ein Hafen angelaufen, dann lieferten die Ketten ein wahres Höllenkonzert zum Diner.

Gegen Abend des ersten Tages erreichten wir Rosario. Der Fluss war hier noch ziemlich breit und Leuchtbojen mussten uns den Weg weisen. Rot und weiß blinkten die Lichter, und warfen seltsame Reflexe auf das Wasser.

Wir hielten uns nicht lange auf. Nach dem Ein-und Ausladen von Kisten und Säcken ging die Fahrt weiter. Bald befanden wir uns wieder in voller Fahrt, und die „Argentina“ schob sich behutsam an stillen Buchten und kleinen Inseln vorbei, die noch hier und da im breiten Strom vorhanden waren. Geheimnisvoll rauschte der Urwald an den Ufern. Oft tönte das heisere Gekreisch der Nachtvögel zu uns herüber und hielt uns deutlich vor Augen, dass wir uns nicht mehr in dem gefahrlosen Dasein bewegten, wie ehedem in Europa. Man konnte unter den vielen Tierstimmen, die sich vernehmen ließen auch manchmal Laute hören, die ohne Zweifel von Raubtieren ausgestoßen wurden. Zu sehen war natürlich nichts, und wir zogen es deshalb auch bald vor, uns schlafen zu legen.

Drunten im Schlafraum herrschte schon ein reges Leben, und mancher der Fahrgäste hatte bereits Unterhaltung gefunden. Ich legte mich aber sofort in den ersten Stock und schaute zum Fenster hinaus. Draußen war alles schwarz, nur der Mond spiegelte sich in den sanften Wellen, und es sah aus, als hätte dieser zitterige Schein Angst vor diesem Dampfschiff, denn er zog immer im gleichen Abstand mit. Später wurde dann der Mond von heraufziehenden Wolken vollkommen verdeckt, und so war auch der silberne Lichtfleck auf dem Wasser verschwunden.

Vater hatte auch schon eine Unterhaltung mit einem Spanier angeknüpft, die ihn ziemlich zu fesseln schien. Günther dagegen hatte es sich bequem gemacht, und war in eine spannende Lektüre vertieft.

Der nächste Tag brachte uns viele herrliche Aussichten. Majestätische Berge wechselten mit ausgedehnten Hügellandschaften ab. Das Schiff stampfte an unwegsamen, und unerforschbar scheinenden Urwaldgebieten vorüber. Hier und da wurden auch kleine, anspruchslose Indianerhütten sichtbar. Die Rothäute, die hier schon mehr braun aussahen, und die genannten Lehmhütten bewohnten, ließen sich nur sehr selten blicken. Manchmal waren sie aber auch neugierig, und beobachteten die Menschen auf dem Schiff misstrauisch. Sie werden sich ihre Gedanken darüber gemacht haben, dass auch mit diesem Schiff wieder so viele Ausländer und fremde Eindringlinge ankommen würden. Das dachte ich wenigstens beim Anblick der Indianer, denn ich glaubte die Gedankengänge dieser Leute gut zu kennen, nachdem ich von Karl May so ausreichend informiert worden war.

Später stellte sich dann allerdings heraus, dass dieses rote Volk schon einigermaßen kultiviert und sehr arbeitsam war.

Sonst verlief die Fahrt ohne besondere Vorfälle.

Am dritten Tag schenkte mir unser Kapitän ein paar Apfelsinen und forderte mich auf, ihm in spanischer Sprache dafür zu danken. Ich musste nun mein erstes Fiasko erleben, denn ich verstand beim besten Willen kein Wort, und konnte auch noch nichts sprechen. Das war mir natürlich sehr peinlich, und beinahe hätte ich die Apfelsinen zurückgegeben. Dann behielt ich sie aber doch.

Es war mir aber klar geworden, dass ich in der nächsten Zeit meinen Forscherblick mehr in die Lehrbücher der spanischen Sprache versenken müsse.

Und dann kam die große Stunde der Ankunft in Asuncion. Erleichtert atmeten wir auf, denn wir waren am Ziel! Mancher Auswanderer wollte diesem Land seine ganze Kraft widmen.

Viele werden noch nicht gewusst haben, welche Strapazen sie noch mitzumachen hatten. Wie viele Entbehrungen und Sorgen ihrer harrten, und welche Kämpfe sie noch gegen die Natur bestehen mussten. Aber den Kolonisten wird dies nicht erspart bleiben! –

Wir standen nun auf der Straße und überlegten, was zuerst anzufangen sei. Zwar war es noch Mittag, aber es schien das Beste, wenn wir uns erst nach einem Quartier umsahen. Doch wo war so schnell ein Hotel gefunden? Vater konnte sich ja gut verständigen, aber es war doch nicht so leicht, das Gesuchte zu finden.


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