Zwei Monate später

Ich war schon ganz wunderbar eingearbeitet und an meine neue Umgebung gewöhnt. Alle Handwerkszeuge waren mir gut vertraut, und ich konnte dem Meister überall zur Hand gehen, und sogar schon selbst kleinere Arbeiten verrichten. Ich hatte sehr leicht gelernt, und fand mich in alles schnell zurecht. Sogar kleine Schaukelstühle konnte ich schon allein herstellen, die ich dann an die Kinder unserer Umgebung verkaufte. So war es möglich, einen Notgroschen zurück zu legen.

Mit Herrn Jose Felix Genes hatte ich mich besonders gut angefreundet. Oft saßen wir abends beisammen und plauderten über Vergangenes und Kommendes. Er wollte mir nie glauben, dass ich ein Deutscher sei. Meine perfekten Sprachkenntnisse in Spanisch und Guarany irritierten ihn immer wieder, obwohl ich ihm sehr oft von Deutschland erzählte. Selbst die Tatsache, dass ich oft lange Briefe in deutscher Sprache schrieb, konnten ihn nicht dazu bringen, mich für einen Ausländer zu halten.

Es war ja auch gar nicht so leicht, in mir einen „Gringo“ zu finden. Meine Haare waren schwarz, meine Kleidung die eines Eingeborenen, und nicht zuletzt meine akzentfreie Aussprache der Landessprachen.

Es war zu komisch!

Ich dachte mir immer: einmal wirst du es ihm schon noch beweisen können, aber die Gelegenheit dazu sollte noch sehr fern sein.

Als ich eines Tages in der Stadt Kitt und Farbe zu holen hatte, traf ich einen Fleischer aus Luque. Einen Deutschen! Ich erkundigte mich nach meinem Bruder und dem Treiben auf unserer Farm.

„Oh, dort ist alles in bester Ordnung“, meinte er. „Dein Bruder ist vor längerer Zeit wieder nach Hause zurück gekehrt und hat erzählt, er sei bei einem Viehzüchter in Stellung gewesen. Es soll irgendwo am Rio Paraguay gewesen sein. Jetzt ist er mit Einwilligung Eures Vaters wieder weggegangen und spielt bei Senor Consalez auf Kilometer 12 so eine Art Vaquero und Hausgehilfe. Scheint ihm viel Spaß zu machen. Dort kann er den ganzen Tag auf dem Pferderücken herumrutschen und ich glaube, das ist seine Lieblingsbeschäftigung. Na ja, eine bessere Gelegenheit konnte er absolut nicht finden. Und was treibst Du jetzt?“

„Ach, ich lerne hier bei einem eingeborenen Tischler, so am Ende der Stadt.“

„Was ihr beide immer anstellt, ist direkt interessant. Ihr scheint Eurem Vater schon allerhand Sorgen gemacht zu haben, aber verdammt mutige Kerle seid ihr, dass muss man Euch lassen.
Also mach Deine Sache weiterhin gut, ich habe jetzt keine Zeit mehr. Soll ich bei Euch Grüße ausrichten?“

„Selbstverständlich, vor allem meinem Bruder und sagen sie ihm bitte, dass ich ihn in nächster Zeit einmal besuchen werde!“

„Werde es ihm bestellen. Also adios, mein Junge.“

Und fort war er.

Es war für mich ganz klar, dass ich am kommenden Sonntag nach Kilometer zwölf fahren würde, um Günther zu besuchen. Kilometer zwölf war eine kleine Bahnstation in der Nähe von Luque, wo ich aber nicht durchzufahren brauchte.

Als der Sonntag gekommen war, rollte ich mit dem Neunuhr-Zug zu den Toren Asuncions hinaus, zum ersten Male, nach fünf Monaten. Die restliche Strecke musste ich zu Fuß gehen, weil ich ja kein Pferd hatte.

Endlich war ich dann am Ziele. Es war bereits nachmittags zwei Uhr. Ich hatte also nur drei Stunden Zeit, denn mit dem Fünfuhr-Zug musste ich unbedingt wieder zurück fahren.

Ich öffnete das große Holztor und schritt den schmalen Weg zum Herrenhause entlang. Die Wohngebäude des Herrn Consales lagen hinter einem kleinen Hügel versteckt, sodass man sie erst sah, wenn man schon kurz davor stand.

Früher, als ich noch in Luque bei meinem Vater gewohnt hatte, hatte ich oft Gelegenheit gehabt, hierher zu reiten. Das Terrain war mir also nicht unbekannt geblieben und der Besitzer auch nicht.

Als ich ungefähr die Hälfte des Weges zurückgelegt hatte, kam ich an einem Teich vorbei. Am Ufer saß ein kleiner Junge, der damit beschäftigt war, sich die Sandflöhe aus den Füßen heraus zu operieren. Er drehte mir den Rücken zu und hatte den Sombrero tief in die Stirn gezogen. Dass jemand gekommen war, hatte er noch nicht bemerkt. Langsam schlich ich mich an ihn heran. Er war sehr tief in seine Arbeit versunken, und manchmal sprach er leise mit sich selbst.

An der Stimme erkannte ich sofort, dass es mein Bruder war. Natürlich war die Wiedersehensfreude groß und wir saßen lange schwatzend neben einander. Er musste mir alles erzählen, was er erlebt hatte, seitdem er damals mit mir von Luque ausgerissen war. Auch ich erstattete ihm genauesten Bericht über meine Tätigkeit, und über das, was mir widerfahren ist.

Ja, er hatte den Weg zum Vater wieder gefunden und war mit seinem Los ganz zufrieden. Oft würde er auf die Farm Don Albertos reiten, dort einen Tag bleiben, und dann wieder nach hier zurück kehren, sagte er.

„Komm nächsten Sonntag wieder. Du fährst bis Luque durch, dort hole ich Dich ab, und dann gehen wir gemeinsam auf die Estanzia. Abgemacht?“

„Nein“, gab ich zur Antwort. „Ich habe keine Lust, mich wieder auf der doofen Farm einsperren zu lassen. Ich will jetzt dort bleiben, wo ich bin, und wo es mir gefällt. Und damit basta!“

„Aber das kannst Du doch trotzdem.“

„Wieso?“

„Na, glaubst Du denn, dass Dich der Vater festhalten wird, jetzt, wo er sieht, dass wir sowieso nicht bei ihm bleiben wollen?“

„Davon bin ich sogar überzeugt!“

„Aber Unsinn“. Er weiß doch, dass Du Deinen festen Beruf hast, da wird er Dich schon wieder fortlassen.“

„Also gut, ich komme!“

Am folgenden Sonntag hatte ich tüchtiges Herzklopfen, als ich mit meinem Bruder auf dem Wege zu unserer Farm war.

Auf der Straße blieb ich stehen und sagte zu Günther:

„Also Du gehst zuerst rein und meldest mich an.“

„Ach, mach doch nicht solche Späne!“

„Na, weißt Du, ein bisschen Angst habe ich doch.“

„Also gut. Aber dass Du mir nicht abrückst, bin gleich wieder da.“

Fünf Minuten später kam er mit meinem Vater wieder. Der kam mir schnell entgegen und streckte mir die Hand hin. Anscheinend war er sehr erfreut, mich wieder zu sehen.

Ich glaube, dass ich ein bisschen gezittert habe, als ich den Druck seiner Hand erwiderte. Ich fürchtete mich vor ihm, und wollte es mir nur nicht eingestehen. Er lud mich ins Haus ein, und führte mich in die Küche, wo ich Gelegenheit hatte, meine Stiefmutter und die beiden Kinder zu begrüßen. Meine Angst machte nach und nach einem trotzigen Stolz Platz, aber etwas ungemütlich war es mir doch.

Dann hatte ich zu erzählen. Als ich zu Ende war mit meiner Geschichte, bat mich Vater, ihn öfter zu besuchen. Dass ich bei fremden Leuten arbeitete, war ihm gleichgültig, da er ja doch nichts daran ändern konnte. Er meinte, ich hätte doch ab und zu Zeit, zu ihm zu kommen, was ich auch versprach.

Ich bekam ordentlich zu essen, durfte auf dem Pferd herumreiten, die Farm an allen Ecken und Enden durchstöbern, und überhaupt alles tun, was ich wollte.

Am Abend brachten mich Vater und Bruder wieder an die Bahn nach Luque.


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